
9:00 Uhr
Die Nacht war für mich sehr unruhig. Ständig sind mir neue Sachen eingefallen, die wir noch erledigen sollten. Ab jetzt können wir die Stunden zählen, bis Alina in ihr großes Abenteuer startet. Nach dem gestrigen Abend und der heutigen Nacht sehe ich ziemlich verknautscht aus. Zudem spüre ich am Bauch einen neuropathischen Schmerz. Diese Stelle spüre ich immer dann, wenn ich bewusst oder unbewussten Stress habe. Eine alte Gürtelrose von vor vielen Jahren ist dafür noch verantwortlich. Geplant ist, dass wir jetzt erst einmal ausgiebig und in Ruhe frühstücken – mal sehen, wovon dieser Plan wieder durchkreuzt wird 🙂
11:00 Uhr
Gerade erledigen wir die letzten Dinge – ich werde das Laptop von Alina noch einmal checken, updaten, ein Backup fahren und ein Programm zur Fernwartung installieren. Steffi arbeitet derweil noch an einem Abschiedsgeschenk. Das erhält Alina auf dem Flughafen. Oh Gott – wenn ich daran denke muss ich fast schon wieder heulen…
12:15 Uhr
Denke, ich könnte ja jetzt mal unter die Dusche gehen. Alina holt gerade noch eine Freundin von der Bahn ab – wir wissen ja, Freunde sind in diesem Alter besonders wichtig! Im Bad nehme ich erste Veränderung wahr: Alina´s Zahnbürste fehlt. Die, gefühlten, tausend Tübchen und Pröbchen von Shampoo & Co fehlen unter der Dusche. Nicht, dass ich das alles schon einmal erlebt habe – wenn sie einfach nur in Urlaub gefahren ist – aber heute ist es anders.
13:30 Uhr
Alina ist mit Freunden im Zimmer. Ich trinke eine Tasse Kaffee und checke die WA-Nachrichten. Den ganzen Morgen schon kommen unzählige Nachrichten für Alina herein. Schön, dass so viele Freunde an sie denken. Hoffe, dass gleich nicht mein Datenvolumen aufgebraucht ist 🙂 Die Katze weicht nicht von meiner Seite – was will sie mir sagen – vielleicht: ALTER, CHILL MA DEINE BASE! Es kommt etwas Ruhe und Entspannung ins Haus.

14:30 Uhr
Die Freunde haben sich verabschiedet – was für Emotionen. Alina meistert das alles so souverän – sie macht das großartig! Steffi und ich holen das Auto von gestern Abend ab. Auf der Rückfahrt kommt mir das alles so surreal vor. Autos auf der Straße, Menschen gehen spazieren. Warum auch nicht – es hat sich ja nichts verändert. Außer, dass Alina in sechs Stunden im Flieger Richtung Down Under sitzt und ich mir darüber Gedanken mache. Ich erinnere mich daran, als mein Vater verstarb -ich war 17 Jahr alt. Auf der Straße sah ich einen Bus, darin lachende und fröhliche Menschen. Ich dachte mir, warum seid ihr so fröhlich, mein Vater ist doch gerade verstorben. Ja, die Welt drehte sich weiter. Eben ganz normaler Alltag. Auch jetzt besinne ich mich wieder: DER BEGINN EINER WUNDERBAREN ERFAHRUNG!
16:00 Uhr
Wir haben uns gerade noch ein Brötchen „reingezwungen“ und sind noch einmal den Ablauf für Alina durchgegangen. „Was machst Du, wenn Du in Abu Dhabi ankommst, welchen Schalter steuerst Du an, wie verhältst Du Dich in Sydney am Immigration-Check und einiges mehr…“. Alina voll genervt! Zur ihrer Rettung stand dann plötzlich Micha, ein guter Freund der Familie, vor der Türe und um noch einmal nach dem Rechten zu sehen. Eigentlich aber mehr um dem Papa, denn Alina gut zu zureden… 🙂 In einer halben Stunde setzen wir uns ins Auto Richtung Frankfurt. Der Koffer, 29,40 Kg, parat!

18:30 Uhr
Am Flughafen angekommen und das Auto geparkt – schnell noch ein Foto von dem Parkplatz, damit wir das Auto nachher auch noch wiederfinden. Wir gehen zur Halle B, Schalter 462 sollst du einchecken. Auf der Anzeigentafel des Schalters 461 sehe ich geschrieben „Upgrades available“. Wir fragen nach was machbar ist. OK, die Business-Class für 1.450 Euro nehmen wir nicht, aber ein Platz mit maximaler Beinfreiheit in der Economy-Class für den Flug von Abu Dhabi nach Sydney in der ersten Reihe. MEGA! Eine gute Gelegenheit, direkt auch einmal deine Kreditkarte auf Funktionstüchtigkeit zu überprüfen. Denn das hast du, ob deines Versprechens, in den letzten Wochen nicht gemacht. Alles läuft reibungslos. Ich bin glücklich, dass Du den langen Flug entspannt sitzen kannst.
18:45 Uhr
An der Zollkontrolle treffen wir auf die Familie mit dem Jungen, mit welchem du die High-School in Australien besuchen wirst. Du hast ihn schon beim Vorbereitungsseminar kennengelernt. Wir haben noch Zeit für ein Getränk und setzen uns in eine der vielen Bars am Flughafen. Du hast noch ein Geschenk für uns – zwei wunderschöne Bilder in tollen Bilderrahmen nebst eines sechs Seiten langen Briefes. Du bittest uns den Brief erst zu lesen, wenn du im Flieger sitzt. Auch wir haben noch eine Überraschung für dich: Ein Abschiedsbuch mit Wünschen aller Menschen, denen du etwas bedeutest. Mama hat über drei Wochen daran gearbeitet und organisiert. Beim Durchblättern rollen Elefantentränen über deine Wangen und auch ich kann meine nicht mehr zurückhalten. Dem Buch werde ich später ein eigenes Posting widmen – ES IST MEGA! Mama verspricht, deine Bilder jeweils auf ihren und meinen Nachttisch zu stellen.

19:20 Uhr
Es ist Zeit. Zurück zur Zollkontrolle. Auf diesen Moment kann man sich irgendwie nicht vorbereiten – ES WIRD ERNST. Ich weiß, dass ich dich jetzt das letzte Mal für die kommenden 317 Tage im Arm halten werde. Du drückst mich so fest, dass ich kaum Luft bekomme und sagst mir, wie sehr du mich liebst. Du schluchzt ganz heftig und auch mir laufen die Tränen. Für einen kurzen Moment denke ich an die Serie „Goodbye Deutschland – die Auswanderer“. So fühlt es sich also an! Ein Kuss und du gehst durch die elektronische Zollkontrolle. Zuerst legst Du dein Flugticket auf und die Schleuse öffnet sich nicht. Ah! Es braucht den Reisepass und ich denke: „Das geht ja schon gut los…“ 🙂
19:28 Uhr
Du drehst dich noch einmal zu uns um, wir winken dir zu und dann verschwindest du hinter den Türen des Sicherheitsbereiches. Mama und ich schauen einfach noch Gedankenversunken hinterher – wenngleich da niemand mehr zu sehen ist. Wir gehen zum Auto.

20:15 Uhr
Ich fahre, Mama checkt derweil Nachrichten auf WA und Facebook. Immer noch kommen viele Nachrichten mit den besten Wünschen für dich. Mit jeder Nachricht welche Mama vorliest, schluchzt sie mehr und mehr. Bringt kaum noch einen Ton heraus.
20:30 Uhr
Ich mache das Radio an. Es läuft Silbermond: IN MEINER ERINNERUNG. Au Backe – jetzt ist hier richtig Alarm angesagt. https://www.youtube.com/watch?v=H3Wf9UGDirw
20:31 Uhr
Das Auto löst automatisch die Abpumpanlage für den Tränensee aus und bläst vorsorglich schon einmal die Rettungswesten auf 🙂 Ich bretter mit 193 Km/h über die A3 und sehe nur noch tränenverschwommen. Lieber einmal runter vom Gas! Wir wollen dich ja in 317 Tagen ja wieder gesund abholen. Ich brauche eine kurze Pause und wir wechseln uns mit der Weiterfahrt ab. Natürlich stalke ich dich über Flugradar. Ich kann live verfolgen wie das Flugzeug über die Rollbahn zur Startposition fährt. Und dann, um 21:20 Uhr, hebst du ab. Mir schießt das Lied „Völlig losgelöst“ durch den Kopf.
21:45 Uhr
Ankunft zu Hause. Mama möchte unbedingt noch den Brief lesen. Du hast nahezu dein ganzen Leben darin revue passieren lassen. Sechs Seiten in Arial 9 – RESPEKT. Du dankst uns für alles was wir dir bisher ermöglicht haben und dir ermöglichen. Ganz tolle Worte hast du gefunden – er ist sehr liebevoll und mit deinem ganzen Herzen geschrieben. DANKESCHÖN!
22:50 Uhr
Wir fallen erschöpft in das Bett und schlafen Hand in Hand ein. Meine letzten Gedanken: Wer hält jetzt deine Hand und wie du dich wohl fühlst?