Coronatest: Negativ | X+183

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Heute morgen stehe ich auf und mein erster Blick geht aufs Smartphone. Das Testergebnis ist erwartet. Du hast ganz lapidar schon eine Nachricht geschickt: „Ich hab kein Corona“. Puh, obwohl das die wichtigste Botschaft ist, würde ich es gerne etwas genauer wissen und frage nach. Dann schickst du die entsprechende Benachrichtigung. Wenngleich ich sehr zuversichtlich war, sind die Gesamtzahlen für Australien schon erschreckend. Ihr seid inmitten einer zweiten Welle. Doch verrückt mache ich mich damit nicht. Der Blick bleibt sachlich auf deine Region gerichtet – Queensland, bzw. Townsville. Hier ist es nach wie vor sehr „ruhig“. Meine Hoffnung? Dass es so bleibt.

Was mich aber zunehmend trauriger macht ist die Tatsache, dass wir dich vermutlich nicht besuchen und abholen werden können. Die Wahrscheinlichkeit sinkt mit der aktuellen Entwicklung in Australien von Tag zu Tag. Grundsätzlich bin ich ja ein positiv denkender Mensch – das Glas ist bei mir meistens halb voll und wenn nicht, habe ich es schon leer getrunken 🙂 Aber auch hier bin ich Realist und meine Berechnungen gehen einfach nicht mehr auf. Bis sich die Lage beruhigt hat, wird es erneut drei bis vier Monate dauern. Und ob Australien dann sofort die Grenzen öffnet, wage ich zu bezweifeln. Wir bewegen uns rechnerisch dann schon im November – Anfang Dezember ist dein Rückflug. Vermutlich alleine – ohne uns im Gepäck 🙁

Erkältung | X+180

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Lange gab es nichts Neues – es war in den letzten Tagen recht unspektakulär bei dir. Live is going on. Doch, es ist bei dir in der Nacht, rufst du an. Du kannst nicht schlafen, weil deine Nase zu ist, du Halsschmerzen hast und hustest. Bähm – Corona, schießt mir in den Sinn. Nachdem ich mich kurz „geschüttelt“ habe denke ich, du hast ja öfters mit Erkältungssymptomen zu tun. Du verträgst die Klimaanlagen nicht immer. Deine Frage, ob du morgen früh zur Schule gehen solltest? Auf keinen Fall, erst einmal auf das Virus testen lassen. In Gedanken gehe ich durch, dass es seit Wochen keinen Neuinfizierten in Townsville gab. Doch du hattest Schulferien und bist auf einer kleinen Reise mit deiner Gastmutter gewesen. Aber auch die Gebiete – runter Richtung Goldcoast – waren keine Risikogebiete. Anders sieht es da im Norden des Landes aus – doch das ist weit entfernt. Wie dem auch sei – ein Test muss her. Morgen früh wirst du dich erkundigen und dir erst einmal ein paar Medis in der Apotheke besorgen. Ich merke, ich bin verhältnismäßig ruhig und besonnen. In etwas mehr als 48 Stunden sind wir alle schlauer und hoffentlich beruhigt.

Zweite Welle? | X+166

Mein Schwiegervater schickt mir einen Zeitungsartikel. Darin wird von einer zweiten Corona-Welle in Australien gesprochen. Ich lese ihn, weil ich zur Zeit nahezu alles was mit Australien zu tun hat, aufsauge. Melbourne hat den zweiten Lockdown. Das ist von dir weit entfernt, denke ich. Nach wie vor checke ich alle paar Tage die Fallzahlen in Queensland, insbesondere Townsville. Seit Wochen gibt es nun keine Neuinfektionen. Ich werde die Entwicklung natürlich weiterhin beobachten. Du bist nach meinem Empfinden dort weiterhin „sicher“. Auch an der Goldcoast, wo du dich mit deiner Gastmutter gerade im Urlaub befindest.

Halbzeit | X+158

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Bei dem Wort Halbzeit denkt man unweigerlich an Fußball. Dabei gibt es viele weitere Sportarten mit einer Halbzeit. Im Sport markiert die Halbzeit für gewöhnlich den Beginn einer Pause. Wenn ich heute über die Halbzeit spreche, bezieht sich das auf deinen Aufenthalt in Australien, denn auf eine Pause. Du bist jetzt 158 Tage dort und hast die Hälfte deiner 317 Tage „geschafft“.

Es gab bislang Höhen und Tiefen. Nach meiner Auffassung jedoch deutlich mehr Höhen. Ich merke, du machst eine große Entwicklung durch. Vielleicht ist es auch eine völlig normale Entwicklung und es kommt mir nur aufgrund der Ferne und des „wenigen“ Kontaktes, so vor. Wie dem auch sei. Ich reflektiere und stelle mir als erstes die Frage, war es eine gute Entscheidung, dich ins Ausland gehen zu lassen? Haben wir dir in deinem Alter vielleicht zuviel zugetraut und damit zugemutet? Würden wir mit dem heutigen Wissen gegebenenfalls anders entscheiden? Das alles lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Mein Gefühl aber sagt mir, alles richtig gemacht! Und natürlich hoffe ich, dass sich das auch nach deiner Rückkehr so bestätigt. Dennoch kommt es vor, dass ich hin und wieder ein schlechtes Gewissen habe. Du hast schon so viele unterschiedliche Situationen selbstständig meistern müssen. Zum Teil waren da auch große Herausforderungen dabei. Situationen, wo ich als Papa gerne die Dinge für dich geregelt hätte. Aber das gehört dann wohl zu meinem Prozess: Loslassen. Auch bin ich sicherlich nicht mit allem einverstanden was „dort läuft“. Und ich kann mich nur darauf verlassen, die richtigen Worte zu finden, so dass du selbstreflektierst die Dinge änderst. Einen direkten Zugriff habe ich ja nicht 🙂

Wir stehen in einem ausreichendem Kontakt zu dir. Er ist deutlich enger in etwas „schwierigeren“ Zeiten und geringer im „Alltag. Auf jeden Fall habe ich das Gefühl, dass wir dich in den unterschiedlichsten Situationen gut begleiten können – die technischen Gegebenheiten machen das möglich. Schön empfinde ich, dass du dich mit allen Fragen an uns wendest – zum Teil auch mit sehr persönlichen Dingen. Das zeigt, wir haben alle ein sehr gutes Vertrauensverhältnis untereinander. Du suchst dir deine Gesprächspartner auch gut gewählt aus. Einige Dinge besprichst du lieber mit Mama, andere mit mir.

Oh, ich denke an Corona, deinen ersten Heimwehanfall, deinen Geburtstag und viele weitere Situationen und Stationen auf deinem derzeitigen Weg. Emotionale Momente, Wut, Ärger, Zweifel und Fragen. Dann erinnere ich mich an das, was ich dir in das Abschiedsbuch geschrieben habe:

Es wird sicherlich Momente geben in denen Du zweifelst – vielleicht an der Sache oder aber auch an Dir selbst. Aber ein Vogel hat niemals Angst davor, dass der Ast unter ihm brechen könnte. Nicht, weil er dem Ast vertraut, sondern weil er seinen eigenen Flügel vertraut.

Vertraue weiter auf dich und deine Fähigkeiten – diese sind in den letzten 158 Tagen wahrlich gewachsen und es warten noch weitere 158 Tage mit spannenden Momenten auf dich. Ich bin unheimlich stolz auf dich und denke oft vor dem Einschlafen an dich. Ich weiß das ist die Zeit, wo dein Tag dann beginnt. Und jeder Tag ist ein kleines neues Abenteuer. Noch ganze 158 Mal.